top of page

KOSMOS LAGERBOX

  • Autorenbild: Dirk_Carolus
    Dirk_Carolus
  • 25. Apr. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

„Der frühe Vogel …?“ Moritz grinst.

Mein dritter Samstag in Folge. Noch einmal einladen. Noch einmal ausladen.

Danach ist unser Laden Geschichte.

 

Moritz, ein gleichsam lebenslustiger wie bärtiger kleiner Pummel, hatte sein langjähriges Jurastudium irgendwann gegen ein Leben auf dem Planeten Lagerbox eingetauscht.

 

Vergangene Woche hatte ich Herrn Hübner kennengelernt.

Im Gegensatz zu Moritz ein eher betulicher Mitfünfziger, der mit einem Minijob bewaffnet hinter dem Schreibtisch im kleinen Büro das Ende seiner regulären Arbeitszeit herbeisehnte.

Eine Welt für sich

Überhaupt ist der Planet Lagerbox ein Sammelsurium von Geschöpfen der anderen Art.



 

Mein dritter Samstag in Folge. Noch einmal einladen. Noch einmal ausladen.

Danach ist unser Laden Geschichte.

 

Da sind die drei Typen, die letzten Samstag den gesamten Vormittag in der Durchfahrt unterhalb des riesigen Turms palaverten.

Lässig auf einem Rollcontainer sitzend.

Angelehnt an die Motorhaube eines M-Klasse BMW.

Sitzend im Kofferraum eines viel zu breiten Mercedes.

Laut redend. Großspurig gestikulierend.

Doch sobald Schritte näherkommen oder sich die Türen der riesigen Lastenaufzüge öffnen: Flüsterton. 


----------

 

Dann ist da die Dame mit der Dauerwelle.

Ihr Haar versprüht den tapezierten Charme der 70er.

Genau wie ihr bemitleidenswerter Daimler.

Eine Baureihe noch mit echten Stoßstangen.

Tiefergelegt – nicht durch Tuning, sondern durch Unmengen an undefinierbarem Gedöns im Kofferraum.

Doch sie stolziert aufrecht durch die Creme de la Creme der Lagerbox-Mafia.

Ihr Daimler, ihr Pelzmantel und ihr Geburtsjahr dürften allesamt Anfang der 60er liegen.


----------

 

Und dann ist da Charles.

Laut Moritz seit gut 10 Jahren Kunde hier.

Hat zwei „Suiten“ mit je über 200 Quadratmeter angemietet.

Und macht in … irgendwas.

„Urlaub macht der nicht. Und wenn, dann hier!“ grinst Moritz.

Sicher, jede Garage, jede Mietswohnung oder jeder Keller wäre auf Dauer um ein Vielfaches günstiger.

Aber wer hier ein- und ausgeht, weiß genau, was er tut.

Privater. Anonymer. Sauberer.

Und gesicherter als jede andere Zuflucht.


-----------

 

Sarah - drei Quadratmeter für ein Leben.

Vierte Etage.

Sarah - blond, groß, wunderschön.

Aber nach außen ohne jegliches Leben.

Geduckt. Still.

Bewegt sie den großen Lastenkarren – oder hält sie sich nur daran fest?

Kurzer, intensiver Wortwechsel.

Sie lebt.

Zwar nur noch eine Hülle, aber mit Herzschlag.

Hat sich vom Kerl getrennt, von der Liebe ihres Lebens.

Dessen Name steht im Mietvertrag.

Ich helfe ihr, ein Regal vom Lastesel zu hieven und in ihrem Verschlag zu verstauen.

Drei Quadratmeter für einen Lebensabschnitt.

Shit happens.


---------- 

 

Trödel, Red Bull & ein geschnitzter Bär.

Unten treffe ich wieder die Dame mit der monströsen Dauerwelle.

Wir nehmen gemeinsam den Fahrstuhl.

Ich liebe diese Momente.

Man kann dabei nicht verlieren.

Gibt sie mir eine Antwort? Lerneffekt.

Gibt sie keine? Nichts verloren, außer ein paar Worte und einen Lidschlag an Zeit.

Dagmar.

Seit dem Tod ihres Mannes macht sie in Floh- und Trödelmärkten.

Hat hier vier kleine Kabinen zu je vier Quadratmetern angemietet.

„Fein säuberlich getrennt in Nippes und Glas, Elektro, erlesener Tischdeko und Küche.“

Nicht ohne Stolz.

Ich zeige auf einen aus dunklem Holz geschnitzten Bären.

Er könnte auch ein Igel oder ein Fasan sein.

„Wohnungsauflösungen sind mein Hobby. Kleinanzeigen meine Zeitung. Trödel am Wochenende meine Erfüllung.“

Geld spielt keine Rolle.

„Zu tun haben“ ist entscheidend.

Um nicht nachdenken zu müssen.

Während sie spricht, fischt sie eine Red Bull-Dose aus ihrer riesigen Umhängetasche.

Lächelt mich an.

Unzählige Kronen schimmern in perfektem Perlmutt durch ihren knallroten Lippenstift.


 ----------

 

Das große Aufräumen - Zurück im Parterre.

Eine Armada von Kerlen einer Umzugsfirma.

„Der Starke Anton", steht auf zwei XL-Sprintern.

Daneben das Logo: Ein Typ in schwarz-roter Uniform, der aussieht wie eine Mischung aus Barbie-Ken und Clark Kent.

Teppiche, Fernseher, Truhen.

Haufenweise gelbe Müllsäcke voller zerdrückter Textilien.

Wannenweise Nippes aus anderen Welten.

Dann öffnet sich eins dieser ominösen Tore.

200 Quadratmeter Lagerfläche.

Und ich denke nur:

„Schrott. Einfach nur haufenweise Schrott.“

 

Inmitten des Chaos:

 

Eine ältere Dame.

Block in der Hand. Spitzem Bleistift.

Ruhig. Kontrolliert.

Gibt Anweisungen, ohne eine Geste zu verschwenden.

Eine Bibliothekarin.

Aber nicht für Bücher.

Für ein längst vergangenes Leben.

Binnen Minuten ist der Spuk vorbei.

Nur noch etwas Staub in der Luft.

Nur noch der Geruch von Dingen, die ihre Geschichte längst verloren haben.




 

Draußen röhren Motoren.

Die junge Lagerbox-Connection trifft sich wieder.

Neonlicht.

Auspuffgase.

Diskretion.

Man philosophiert über Weltherrschaft und Erbe.

 

Lagerbox bleibt Lagerbox.

Nur wenige Stunden in einem Paralleluniversum.

Aber wieder einmal eine inspirierende Erfahrung.

Comentários


bottom of page