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Endlich wieder normale Menschen

Autorenbild: Dirk_CarolusDirk_Carolus

Heute durfte ich die vierte E-Commerce-Veranstaltung innerhalb von nur sechs Wochen besuchen. Sicherlich auch die letzte – zumindest für dieses Jahr. Es geht jetzt nicht explizit um diese Veranstaltung, die Konferenzen, den oder jenen Workshop oder Hardtail-Funnel-Meetings.

Dazu später …

 

09:00 Uhr – Maritim Hotel

Aufschlag im hektisch belebten Maritim Tagungshotel. Vor mir gaben sich schon VON und ZU an der Rezeption die schlechte Laune gegenseitig in die Hand.

Die Lobby war brechend voll – laut und unangenehm.

Der wirklich bemühte Checkout-Concierge hatte Mühe, in diesem Stimmengewirr den Namen Krasoferawitzsch (Name geändert – ähnlich) auf Englisch buchstabiert im System zu finden, um deren Rechnung auszudrucken. 

Die Welt brach für das sichtlich genervte First-Class-Ehepaar vor mir zusammen. Deren wüste Druckparolen gegenüber dem Concierge sorgten für zusätzlichen Stress im gesamten Betrieb drumherum.

Ich habe mich erst einmal entfernt und mir einen Kaffee geholt.

 

Cyber-Space & Selfmade-Millionäre

Wenig später wieder „mal wieder“ im E-Commerce-Cyber-Space Platz genommen. Umgeben von selbsternannten MACHERN.

2 – 50 – 14 – 80 – 800 – 62 Millionen.

Bäng – Puff – Peng!

Hier, da, so bähhhm – musste machen!

Ich denke mir – as usual: UMSATZ? Cool. Ganz großes Tennis … ?

 

Nach acht Stunden mit Selfmade-Umsatz-Millionären, FBA-Newcomern, die noch nicht einmal fehlerfrei an die Wand pissen können – geschweige denn jemals einen von ihnen verkauften Artikel in der Hand hatten – und altehrwürdigen Händlern, die seit Jahren die „Handling-Kosten“ eines Artikels einfach nie berechnet haben … kam ich mal zum Luft holen.

Das Foyer war brechend voll. Ganze Hundertschaften von Frauen und Männern in feinster Ausgehgarderobe, Abendkleid, Smoking – teilweise auch XL fittet in M. Aber alles hübsch.

Der Verein Lohnsteuer e. V. lud zur großen Jahresgala ein.

Da Vereine ja kein Plus in der Bilanz … ?

OK – ganz anderes Thema!

 

Hauptbahnhof – Endlich Luft

Raus aus dem Hexenkessel.

Ab zum Hauptbahnhof. Ich brauchte Zigaretten und ein Pils an der frischen Luft. Mit den vielen Eindrücken und Erkenntnissen der vergangenen Stunden saß ich dann entspannt auf einer Parkbank im Grünen und beobachtete das rege Treiben vor dem Hauptbahnhof.

Kein Vertun:

Jeder Hauptbahnhof ist gleich. Für mich hatte es aber fast eine beruhigende Wirkung.

Endlich wieder normale Menschen …

 

Nun zu Manni

Es wurde langsam dunkel. Ich bin wieder im Foyer des Maritim.

Vor der Tür: die Raucher-Lounge des Vereins Steuererklärung e. V.

Heftiges Gekicher, Gegröle, Partylaune.

Es ist irgendwie schon gruselig, was ein wenig Alkohol aus zuvor erzbiederen Buchhaltern und verwelkten Steuerfachgehilfinnen herausholen kann.

Erinnert ein wenig an die Gremlins. Ich stellte mich mit einem Pils etwas abseits des Eingangs und nahm Platz auf einem Papierkorb, um meine E-Mails zu checken.

Wenig später wurde ich von hinten angeraunzt:

„Darf ich mal …?“

 

Manni sucht nach Leergut.

Manni – 56 Jahre & ein Leben später. 

Wer mich etwas kennt, weiß, dass es einige Kreuzungen in meinem Leben gab, an denen auch ich leider die falsche Ausfahrt genommen habe.

Wer mich noch nicht kennt, wird es über kurz oder lang in diesem Blog erfahren.

 

Shit happens!

Manni und ich kamen – was auch sonst – ins Gespräch.

Sein erster Satz, noch bevor ich überhaupt eine Frage stellen konnte: „Ich will überleben.“

Kurzentschlossen habe ich Manni in die feudale Bar des Maritims eingeladen.

Inklusive seiner weißen Plastiktüte mit Leergut, die er entschlossen an seine Brust drückte.

Manni ist 56 Jahre alt.

Nach der Schule ging er zu Thyssen-Krupp – wie sein Vater.

34 Jahre malocht.

Umstrukturierung wegen Management-Fehlern – und Manni war raus.

Wegrationalisiert. Einfach Ende.

War dann noch kurz bei Opel in Rüsselsheim.

Aber auch dort gingen irgendwann die Lichter aus.

Mit über 50 noch einen Job finden?

Nach 36 Jahren Maloche?

Geschieden, zwei Kinder, kein Kontakt zur Familie …

 

Shit happens halt!

Es war ein emotionales Gespräch.

Hat mich bewegt.

Sicherlich auch, weil ich diese Klientel aus meiner Zeit bei der Polizei gut kenne.

Und mich selbst zu einem gewissen Teil auch dazu zähle.

 


 

Epilog

Wir haben uns verabschiedet.

Ich habe Manfred mit seiner Plastiktüte durch die nun sichtlich losgelösten Party-People in der Lobby gelotst und abgeschirmt.

Zurück bleibt ein fader Geschmack, den ich nicht wirklich in Worte fassen kann …

Aber den jeder mit nur ein bisschen Empathie nun auch schmecken kann.

Manfred will einfach nur überleben.

Und drängt mich barsch von „seinem“ Papierkorb.

 

And shout it out loud:

Endlich wieder normale Menschen!

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